
Ein chaotischer Garten - oder - Dein Beitrag zur Artenvielfalt
KreativitätEs wird immer klarer, dass selbst wenn wir Klimawandel in den Griff bekommen sollten, immer noch andere große Herausforderungen ungelöst bleiben: darunter zählt vor allem der Verlust der Artenvielfalt. Wir kennen noch nicht alle Spezies dieser Welt und daher ist der Verlust der Artenvielfalt nur schwer einschätzbar. Doch hier eine „optimistische Schätzung“: Während in einer Welt ohne Menschen mit 2 Millionen unterschiedlichen Spezies jedes Jahr normalerweise 2 Arten aussterben, geht man momentan von einer hundert mal höheren Aussterberate aus. Das heißt jedes Jahr sterben 200 Arten aus. Tatsächlich sind wir Menschen für dieses Aussterben verantwortlich, da die Bevölkerung wächst und immer mehr Platz in Anspruch nimmt. Der Verlust ist herzzerreißend, vor allem wenn man weiß, dass die meisten dieser Spezies noch nicht einmal bekannt sind und nie wieder von einem Menschen gesehen werden können. Jeder von uns kann jedoch versuchen, direkt in seinem Garten oder Balkon ein kleines bisschen Land zurückzugeben, um die Artenvielfalt zu verbessern.
Ich wuchs in einer 6-köpfigen Familie auf dem Land mit einem riesigen Garten auf. Eigentlich war unser Garten zu groß. Meine Eltern schafften es oft nicht „sich um den Garten zu kümmern“. Doch gerade dies half der Artenvielfalt. Während das Gras auf der einen Seite gemäht wurde, war es auf der anderen Seite schon wieder groß (mein Vater mähte mit der Sense, um jedes Tier vor dem Tod zu schützen) – während das eine Beet von Unkraut befreit worden war, war das andere Beet schon wieder überwuchert. Das gefiel uns Kindern natürlich gar nicht, vor allem wenn wir helfen sollten und dafür den Gameboy mit Zelda weglegen mussten. Wir wussten doch, dass das Beet direkt wieder überwuchert sein würde, während man in Zelda ein Level aufsteigen und dies gespeichert werden konnte. Sobald wir vom Urlaub zurückkamen, empfand ich unseren Garten immer als einen Dschungel. Die Weide neben unserem Wohnzimmerfenster hatte dann so lange Äste bekommen, dass sie das halbe Fenster überwucherte. Meine Schwester und ich gründeten daher den „Dschungel-Club“. Zusammen krochen wir durch unseren Garten auf einer Erkundungsmission im „Dschungel“. Und wir fanden tatsächlich viele Dinge: Blindschleichen, Feuersalamander, Wespenspinnen…
In diesem “außer Kontrolle geratenen Garten”, hatte die Artenvielfalt ihr Paradies. Diese Gärten sind jedoch außer Mode. Stattdessen sind Gärten „in“, die den Anschein erwecken, wir wären in totaler Kontrolle unseres Lebens: Steingärten! Leg Steine auf Deinen Garten und ein paar trockenresistente Pflanzen dazwischen und fertig. Du musst Dich um gar nichts mehr kümmern. Das ist „modern“ als ob es voraussagen wollte, wie unsere Welt aussehen wird, wenn wir den Kampf gegen Klimawandel und Artensterben verlieren: keine Varietät, trocken, heiß, Wüste. Vor der Desertifikation in privaten Gärten lebten auf diesem Land noch viele unterschiedliche Spezies, jetzt nur noch ein paar. Genau das ist Teil des Artensterbens. Steingärten und „chaotische Gärten“ haben eins gemeinsam: In beiden Fällen muss man kaum etwas machen. Man muss nur davon ablassen zu denken, man müsste jedem zeigen, dass alles ordentlich gepflegt ist. Ich stimme zu, dass ab und zu etwas gemacht werden muss – doch man darf auch einfach mal die Finger vom eigenen Garten lassen, sich zurücklehnen und einfach nur die Natur machen lassen.
Von meinem Kindheitsartenvielfaltsparadies zog es mich dann zum Studieren in die Stadt. Ich lebte in einem 21-stöckigen Wohnhaus der Studentenstadt in München. Auch wenn der englische Garten nicht weit war, vermisste ich das Grün um mich herum, wie sich jeder Stadtbewohner vorstellen kann. Dann zogen wir nach Lausanne und ein kleiner Traum wurde wahr: wir fanden eine Wohnung mit gleich 2 Balkonen. Die Balkone waren komplett grau und leer. Anzahl an Arten: 0, Artenvielfalt: 0. Nun nach 3 Jahren kontinuierlichem Wachstum auf unserem Balkon, zählte ich heute 60 Arten (ohne Unkraut und Insekten zu zählen).

Die Biodiversität wurde ganz eindeutig erhöht. Durch das Begrünen der Balkone in den Städten kann jeder von uns direkt zur Artenvielfalt und besserem Klima in den Städten beitragen. Auch wenn der Balkon nur ein kleiner Platz ist, er wird sicherlich von vielen Lebewesen besucht werden, die hungrig in der grauen Wüste unterwegs waren. Dein Balkon kann als erste kleine grüne Oase dienen. Artenvielfalt ist so einfach. Artenvielfalt ist nicht nur die seltene Spezies im Wald, die vom Aussterben bedroht ist. Artenvielfalt beginnt auf Deinem Balkon und in Deinem Garten. Wir müssen ihr nur Platz geben!
Falls Du ein paar Startertipps brauchst um mit möglichst wenig Aufwand und wenig Geld Deinen Balkon zu begrünen – klicke hier.
Um sich näher mit dem Thema zu befassen:
Ceballos G, Ehrlich PR, Barnosky AD, García A, Pringle RM, Palmer TM. Accelerated modern human-induced species losses: Entering the sixth mass extinction. Sci Adv. 2015 Jun 19;1(5):e1400253. doi: 10.1126/sciadv.1400253.
Ja Nils, hast du gut geschrieben. Dass wir mit unserem Garten mal ins Internet kommen, hätten Mama und ich beim Kauf 1985 auch nicht gedacht. Man kann in der Gartenliteratur oft lesen, dass
die Anlage eines Gartens etwas über den Gärtner aussagt. Das ist auch richtig und kann beobachtet
werden. Je akkurater der Rasenschnitt, desto steriler ist die Inneneinrichtung der Haus- u. Garten-
besitzer. Typische Denkweisen sind auch erkennbar. So kann man allgemein behaupten, die Garten-
kultur ist ein Abbild unserer Gesellschaft.
Mit deinem Artikel zeigst du auf, wie jeder mit geringem Aufwand an Geld und Mitteln die “Land-
schaft” bunter und artenreicher gestalten werden kann. Trift die obige Behautung zu, müsst die
Gesellschaft bei vielen Follower unsere Gesellschaft”bunter”und toleranter werden. Viel Erfolg!!