
Das Verschwinden eines magischen Waldes unter der Meeresoberfläche
OzeaneNicht weit von der Küste unserer gemäßigten und subpolaren Regionen entfernt befindet sich unter der Meeresoberfläche versteckt eine magische Welt: Seetangwälder. Was wie ein hässliches Algennetzwerk an der Oberfläche erscheint, versteckt eine riesige Vielfalt unterschiedlicher Arten unter der Seetangdecke. Zu deren Einwohnern zählt man süße Seeotter, großartige Wale und mysteriöse Seepferdchen, die gerade aus einem Märchen entsprungen zu sein scheinen. Auf eine Seetangwaldexkursion müssen Taucher extra vorbereitet werden, da man sich nur zu einfach in diesen unterseeischen Wäldern mit bis zu 45 m hohen „Bäumen“ verirren oder verheddern kann. Schau Dir doch einmal folgendes Video an, um Dich von dem Seetangwald verzaubern zu lassen:
Seetang hat bestimmt schon jeder einmal auf einer Strandwanderung entdeckt. Als Kind war ich immer ganz begeistert, wenn man zum Beispiel die luftgefüllten Blasen einiger Seetangspezies zerplatzen lassen konnte. Doch es gibt noch viele andere Seetangspezies in den unterschiedlichsten Formen. Manche von ihnen können bis zu 45 cm pro Tag wachsen. Seetang gehört nicht zu den Pflanzen, auch wenn sie viele Merkmale teilen. Seetang ist auch in der Lage Photosynthese zu betreiben. Dies ist der Prozess, in dem Pflanzen das klimaschädliche Gas CO2aus der Atmosphäre aufnehmen, Kohlenstoff in Form von Zuckern speichern, und harmloses Sauerstoff, das wir zum Atmen brauchen, wieder abgeben. Da viel Kohlenstoff im Gewebe von Seetang gespeichert wird, werden Seetangwälder wie tropische Regenwälder zu den wichtigsten Kohlenstoffsenken gezählt. Die gelagerten Zucker ziehen alle möglichen Tiere, die sich vom Seetang ernähren, an. Diese Tiere werden von immer größeren Meereslebewesen gefressen. Damit sind Seetangwälder die Basis vieler küstennahen Nahrungsnetze, die sogar eine wichtige Rolle bis in die Tiefsee spielen. Sicherlich sind auch schon Teile von Seetangwäldern auf deinem Speiseteller gelandet… wenn nicht in der Form von Fisch, dann wenigstens in Form einer chinesischen Suppe, in der Seetang eine häufige Zutat ist.
Sicherlich kennst du noch Nemo, den Clownfisch, der von einer Seeanemone geschützt aufwächst. Seetangwälder bieten die gleiche Art von Zuhause für viele kleine Fische, die in gemäßigten oder polaren Regionen aufwachsen. Hier werden sie von Feinden und auch Stürmen, die in diesen Breiten häufig über die Meere peitschen, geschützt.
Das Heim des blättrigen Fetzenfisches ist bedroht!
Südaustralien ist die Heimat eines bis zu 8000 km langen vernetzen Seetangwaldsystems, das auch “Great Southern Reef” genannt wird. Auch wenn es nicht so bekannt ist wie das näher am Äquator gelegene schillernde „Great Barrier Reef“, ist es dennoch Heimat vieler Spezies, die hier endemisch vorkommen – das heißt nur an dieser einen Stelle auf der ganzen Welt – darunter auch der bunte blättrige Fetzenfisch. Jede Minute produziert dieser Seetangwald für die australische Wirtschaft ungefähr einen Gewinn von 1100 €, was zusammengerechnet im Jahr 680 Millionen € ergibt. Durch das schnelle Wachstum können Seetangwälder zur Tierfütterung, für Biotreibstoffe und sogar zur Produktion von Arzneimitteln in Zukunft genutzt werden. Auch wenn dieses Ökosystem so wichtig für die Umwelt und Wirtschaft ist, sind sich wenige bewusst, unter welcher Bedrohung Seetangwälder stehen. Wenn wir nicht lernen, diese Wälder nachhaltig zu nutzen, werden wir nie die Möglichkeit haben, den vollen Reichtum dieser Wälder nutzen zu können. Auch wenn globale Erhitzung zu einer Expansion der Wälder in noch polarere Regionen führt, geht global gesehen jedes Jahr der Seetangwald um 2 % zurück. In manchen Regionen beträgt der Rückgang sogar 18 % pro Jahr.
Doch was bewirkt diesen Rückgang? Lass mich die 3 wichtigsten Ursachen, die zum Verschwinden beitragen, hier vorstellen:
- Verschmutzung der Weltmeere: Noch immer gelangen zu viele Nährstoffe durch uneffektive Überdüngung der Felder in der Landwirtschaft in die Weltmeere. Wenn der Nährstoffgehalt zu stark ansteigt, fördert dies das Wachstum von Grünalgen, die in Konkurrenz zum Seetang stehen. Andere Partikel oder Sedimente, die durch Urbanisierung und ungeklärtes Wasser in die Weltmeere gelangt, verhindern zusätzlich, dass Seetang genug Licht abbekommen. Dadurch ist die Photosynthese ineffektiver, der Seetang wird krank und stirbt letztendlich ab.
- Überweidung der Seetangwälder durch Seeigel. Seeigel werden normalerweise durch Seeotter, Langusten, bestimmte Fischarten oder sogar Seesterne in Schach gehalten. Leider wurden Seeotter fast bis zur Ausrottung gejagt und müssen sich immer noch von diesem Schock erholen. Langusten und andere Fischarten sind mittlerweile so überfischt, dass nur noch Seesterne die letzte Hoffnung sind, um den Seeigeln Einhalt zu gebieten. In den letzten Jahren hat jedoch ein Virus die Anzahl der Seesterne dramatisch reduziert. Seeigel konnten sich dadurch in den letzten Jahren uneingeschränkt vermehren und können zu „Seeigelödland“ führen. Dies sind Herden an Seeigeln, die alles abgrasen, was in ihrem Weg steht. Sobald alles aufgefressen wurde, zieht ein Teil der Seeigel weiter. Der Rest, der zurückbleibt, geht in einen Hungerzustand über. In diesem Hungerzustand werden Kiefer und Zähne verstärkt, sodass normalerweise nicht-essbare Arten wie verkalkte korallenartige Algen nicht mehr geschützt sind. Zurück bleibt nur Ödland.
- Globale Erhitzung! Seetang verträgt keine hohen Temperaturen. Durch immer mehr Hitzewellen in den Ozeanen stirbt er daher ab. Manchmal wird Seetang auch von tropisch invasiven Arten bedroht, die sich nun in Zonen wohlfühlen, die bisher zu kalt waren. Zu einem weiteren beängstigenden Ergebnis kam eine brasilianisch-australische Forschungsgruppe: eine marine Hitzewelle im Jahr 2011 entlang der westaustralischen Küste führte zu einem Verlust genetischer Vielfalt von bis zu 65 %. Genetische Vielfalt ist jedoch wichtig, um gegen zukünftige Katastrophen gewappnet zu sein. Während einer Katastrophe sterben unangepasste Individuen ab, besser angepasste Individuen hingegen überleben. Diese Eigenschaften sind in unserem Genom codiert. Die genetische Vielfalt ist jedoch schwer zu messen und kann nicht alleine durch das Maß an „Bewaldung“ gemessen werden. Zurzeit wurde jedoch meist nur die „Oberflächenbewaldung“ als Indiz des Zustandes der Seetangwälder gemessen. Aus diesem Grund ist die Lage der Seetangwälder womöglich schlimmer als wir zurzeit befürchten. Bei zukünftigen Katastrophen könnten innerhalb kürzester Zeit große Flächen absterben.
Es gibt mehrere Initiativen, um den Seetangwald zu retten, und der Kampf ist noch nicht verloren. Glücklicherweise ist Seetang sehr dynamisch und kann innerhalb kürzester Zeit wieder die ursprüngliche Schönheit zurückgewinnen. Zur Restaurierung werden zwei Hauptstrategien verwendet: Während der „assistierten Erholung“, wird die Ursache des Niedergangs entfernt und Material, das als Ankerpunkt zur Seetangkolonisierung dient, wird installiert. Dies kann jedoch sehr teuer werden: 2 Taucher brauchen 700 Tage und kosten 1300 € pro Tag, um Seeigel in einer 1 km2 großen Fläche zu entfernen, wenn die Dichte 1,5 Seeigel/m2beträgt. Das ist immer noch eine geringere Dichte als man in einem typischen Seeigelödland vorfindet. Durch „aktive Rekultivierung“ versucht man Seetang, welcher vorher im Labor herangezogen wird, an Stellen zu transplantieren, in denen kein Seetang mehr wächst. Diese Transplantation muss sehr häufig wiederholt werden, bis der Wald wieder autonom und damit stabil wird. Beide Methoden sind sehr kostenintensiv und nicht effektiv genug, um global die Wälder zu retten. Der Seetangwald braucht daher Dich!
Doch wie kannst auch Du einen Unterschied machen? Da Überfischung einer der Hauptgründe für das Verschwinden ist, lass uns damit starten, den WWF Fischguide zu verwenden. Du kannst ihn Dir einfach in Deiner Lieblingssprache auf Dein Smartphone laden. Verlass Dich bei Deiner Wahl nicht nur auf das MSC-Siegel (mehr dazu hier).
Wie kannst du einen Unterschied machen?
Leider ist das Kaufen von Fisch aus nachhaltigen Quellen teurer als konventioneller Fisch. Das tut beim Kaufen dann doch ein bisschen weh. Aber wenn Du das nächste Mal vor dieser Entscheidung stehst, denke einfach daran: Wenn Du jetzt den billigen konventionellen Fisch wählst, wird genau der gleiche Fisch in ein paar Jahren so exorbitant teuer sein, dass Du ihn Dir gar nicht mehr leisten kannst (falls er überhaupt noch auf der Erde existiert). Wenn Du jedoch den teureren nachhaltigen Fisch kaufst, wirst Du ihn auch noch in ein paar Jahren für den gleichen Preis genießen können. Lass uns auch Fisch nur zu speziellen Anlässen essen. Zum einen hilft dies, Geld zu sparen, um den nachhaltigen Fisch kaufen zu können, und zum anderen schätzen wir auf diese Weise den Fisch, den wir essen, viel mehr. Ich finde es schrecklich, wenn kostbarer Thunfisch zerschnetzelt wird, in eine Dose gestopft und dann in Form eines Thunfischbaguettes innerhalb von 5 Minuten unterwegs verschlungen wird. Wenn Du ein hungriger Fischliebhaber bist, kannst Du vielleicht auch mal die lokalen Süßwasserfische ausprobieren, die nicht bedroht sind.
Dies sind nur ein paar Beispiele, wie wir den Druck auf unsere nicht-fiktionalen magischen Wälder unter der Seeoberfläche erleichtern können. Bitte schreibe Dich in meinen Verteiler ein oder folge mir auf twitter, um auch weiterhin Informationen zu bekommen über die Schönheit bedrohter Ökosysteme und wie auch DU einen Unterschied machen kannst, um sie zu retten.
Um die wissenschaftlichen Artikel zu lesen (die wichtigsten relevanten Quellen):
Gurgel CFD, Camacho O, Minne AJP, Wernberg T, Coleman MA. Marine Heatwave Drives Cryptic Loss of Genetic Diversity in Underwater Forests Curr Biol. 2020 Apr 6;30(7):1199-1206.e2. doi: 10.1016/j.cub.2020.01.051
Layton C, Coleman MA, Marzinelli EM, Steinberg PD, Swearer SE, Vergés A, Wernberg T and Johnson CR (2020) Kelp Forest Restoration in Australia. Front. Mar. Sci.7:74. doi: 10.3389/fmars.2020.00074
Danke auch an RainWater_Gallery für das Bereitstellen des Titelbildes
Hallo Nils,
hast du toll geschrieben. Wenn ich es recht verstanden habe, sind die Seetangwälder in allen Meeren, also auch Binnenmeeren unabhängig vom Salzgehalt.
Der Text ist gut verständlich und lässt sich leicht und locker lesen.
Gruß
Papa
Sehr interessant geschriebener Bericht. Wir müssen unsere Umwelt, Meere und Gewässer mit ihren Lebewesen und Pflanzen besser schützen.